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Algen, Rhythmen und Algorithmen

Neulich habe ich eine Werbe-E-Mail von Breuninger erhalten: „Liebe Frau Jansen, anhand Ihrer letzten Einkäufe haben wir folgende Artikel zusammengestellt, die Ihnen auch gefallen könnten.“ Und dann folgen vier Bilder von Bikini-Hosen mit floralem Muster. Jetzt möchte der kundige Leser meinen, ich hätte dort zuletzt Bademode geshoppt. Wobei dann immer noch die Frage wäre, warum ich schon wieder Badekleidung benötige. Oder mein letzter Kauf wäre vielleicht ein Badehandtuch mit einer großen Palme drauf. Dann wäre das System schon recht schlau und könnte – wohl auch saisonal bedingt darauf schließen, dass ich für den Sommerurlaub noch eine Badehose mit floralem Muster suche. Es ist allerdings Antwort c.) Mein letzter und wohlgemerkt einziger Online-Einkauf beim Modehaus Breuninger war eine Skijacke für meinen Sohn in Größe 128. Der Algorithmus hat also zumindest durchschaut, dass sich mein Sohn seine Jacke wohl noch nicht selber bestellen konnte und mich als zu bewerbende Käuferin identifiziert. Das Beste an der Sache ist: Die E-Mail sagt auf ganz blumige Art und Weise: Wann haben Sie sich denn zuletzt um Ihren eigenen Hintern gekümmert? Oder um es etwas psychologischer ausdrücken: Wann haben Sie sich das letzte Mal für etwas belohnt oder auch sich etwas gegönnt? Damit meine ich nicht unbedingt eine nächtliche Online-Kauforgie, die auch niedere Gelüste befriedigen kann, und zwar völlig geschlechtsunabhängig, sondern eher so im Sinne von „sich etwas gönnen“ oder auch sich für sich selbst „Zeit nehmen“. Wenigstens gedanklich. Das Gegenteil von „sich Zeit für sich selbst nehmen“ wäre seine Zeit für „andere“ nehmen. Das macht bekanntlich auch glücklich, ist also zumindest nicht gänzlich verkehrt. Schwierig wird es erst, wenn die Balance fehlt. 

Keine Torte zu groß, kein Aufwand zu klein - den Eltern fällt stets was Neues ein. (Foto von Thirdman on Pexels.com)
Keine Torte zu groß, kein Aufwand zu klein - den Eltern fällt stets was Neues ein. (Foto von Thirdman on Pexels.com)

Ein schönes Paradoxon aus der heutigen Zeit findet sich auch regelmäßig in Gesprächen mit Eltern, die den Geburtstag ihres Kindes vorbereiten. Das sind ja heute keine einfachen „Es gibt Kaffee und Kuchen. Bitte vergiss Deine Hausschuhe nicht.“ – Einladungen. Sondern es wird sich in der Regel eine Instagram-taugliche Detailschlacht rund um das gewählte Motto geliefert. Vorbereitungszeit: 4 Wochen für 4 Stunden High-Class-Entertainment vom Junior. Ich nehme mich da selber auch gar nicht aus. Mein Sohn wünscht sich eine „Unterwasserparty“ und plant schon auf den verschiedenen Etagen des Hauses die unterschiedlichen Stationen in Abhängigkeit von der Wassertiefe wohlgemerkt. Ich erwische mich dabei, wie ich anfange nach Ideen dafür zu recherchieren: Tiefseetaucherfische im Schwarzlicht, grüne Algen-Spaghetti und natürlich der Dorie-Doktorfisch als Kuchen-Deko…dabei weiß ich noch nicht mal, wie ich meinen eigenen nächsten runden Geburtstag würdig feiere. Wahrscheinlich eher mit der „Kaffee-Kuchen und vergiss die Hausschuhe nicht“-Einladung. Dabei waren eigene Motto-Partys zu Studentenzeiten gar nicht so unüblich. Vielleicht ist das ja auch eine Erklärung, dass man sich nun eher bei den eigenen Kindern austobt.  

"It's Just Me, Myself and I" (De La SOUL)

Eine Möglichkeit die Selbstreflektion zum Thema „Work-Life-(Kids)-Balance“ etwas anzuregen, ist der klassische Rollenkuchen. Worum geht es? 

Der klassische Rollenkuchen dreht sich, wie der Name schon impliziert, um die verschiedenen Rollen, die eine Führungskraft, ein Professional, ein Wissenschaftler, ein Journalist, ein Mensch ganz allgemein so hat. Dabei listet man diese Rollen zunächst einmal auf bevor man sie anschließend in einem „Tortendiagramm“ zeitlich aufteilt. Um potentielle Zeitfresser mit zu erfassen, stelle ich die Frage hier lieber nach: „Welche Themen und/oder Personen bekommen im Alltag Ihre Aufmerksamkeit“? Im zweiten Schritt sollen diese Themen und Personen dann im einem Zeitkuchen-Diagramm aufgeteilt werden. Und zwar zunächst für die aktuelle Situation und anschließend abgeleitet und hypothetisch für die erwünschte Zukunft. Gut möglich, dass im Zukunftsszenario Themen und Personen auftauchen, die aktuell leider zu wenig oder gar keine Berücksichtigung finden. Aber auch über alle weiteren Diskrepanzen zwischen der IST- und der Soll-Situation lohnt es sich mal einen Gedanken zu verschwenden und vielleicht sogar direkt die ein oder andere Konsequenz zu ziehen. 

So könnte eine Schlussfolgerung sein, heute Nachmittag noch eine Kugel Eis essen zu gehen mit sich alleine oder nach der Mittagspause am Freitag noch eine Stunde im Museum dran zu hängen, in das man schon seit fünf Jahren mal gehen wollte. Auf jeden Fall helfen kleine Erinnerungsbrücken im Alltag diese Erkenntnisse auch in die Tat umzusetzen. Vielleicht stellen Sie ja als Klingelton für Anrufe Ihrer Kinder auch „Me, myself and I“ von De La Soul ein. 

 

Rhythmen und Algorithmen werden in auch in naher Zukunft unser Leben bestimmen. Ich wünsche mir statt umständlicher personalisierter Werbung einen Algorithmus, der mich daran erinnert, dass ich lange nicht mehr mit meiner Freundin telefoniert habe oder auch schon lange keine Reise mehr geplant, keinen Roman mehr gelesen oder auch keine Tränen mehr gelacht habe. Und dann macht der Algorithmus mir anhand meiner Erlebnis-Historie ein paar Vorschläge, was mir diesbezüglich gefallen würde. Das wäre für mich auch der Gegenentwurf zum Schlaf-Tracking: das Lach-Tracking. Angeblich lachen Kinder ja bis zu 400 Mal am Tag und Erwachsene nur bis zu 20 oder 40 Mal. Also viel zu wenig im Vergleich. Ist das nicht traurig? Aber alle Welt redet nur davon, wie wir endlich mehr Schlaf bekommen und unser Schlaf genauso wie unser Gewicht, unsere Ernährung, etc. optimiert werden müssten. Wann ist denn endlich der Humor dran? Kann man das eigentlich Humor optimieren? Zumindest auf die Agenda setzen kann man es sich. Humor ist wie die Kirsche auf der Torte der Work-Life-Balance und passt im Grunde in jede Kategorie.

Wer gern mehr Humor in seinen beruflichen Alltag bringen möchte, kann sich im Deutschen Institut für Humor etwas auf die Sprünge helfen lassen. Dort gibt es beispielsweise ein Online-Seminar: "Humor on stage". (Stand: Juli 2021)

 

https://www.humorinstitut.de